Psychologe Dr. Valentin Schellhaas gibt praktische Tipps, wie wir Stress bewältigen und widerstandsfähiger werden können. Im Interview zeigt er Strategien und Tools zur Stressbewältigung auf und beleuchtet die Rolle von Purpose sowie Sinnhaftigkeit. Dank seiner Erfahrung als Gründer, Geschäftsführer und ehemaliger Berater gibt er wertvolle Ratschläge zur Burnout-Prävention für Führungskräfte und spricht über Möglichkeiten einer sinnstiftenden neuen Arbeitswelt.
Psychologe
Ratschläge zu Stressbewältigung, Widerstandsfähigkeit und die Bedeutung von Sinnhaftigkeit in der Arbeitswelt kann uns Dr. Valentin Schellhaas nicht nur mit der fachlichen Expertise eines promovierten Psychologen geben. Er kennt als ehemaliger Unternehmensberater sowie Gründer und Geschäftsführer von zentor auch die praktische Perspektive genau. Zentor verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit bewährten Praktiken für die Mission: Erfüllung finden, Veränderung leben und eine positive Gesellschaft gestalten. Das Münchner Startup liefert digitale und blended learning Lösungen für berufliche und persönliche Entwicklung – als Mentor für ein Streben nach Glück und psychischer Gesundheit.
Herr Dr. Schellhaas, ist Stress immer schädlich?
Ganz im Gegenteil. Ein gesundes Maß an Stress lässt uns sogar produktiver und widerstandsfähiger werden. Ich würde sogar sagen, dass unsere Stressreaktion ähnlich wie unser Immunsystem funktioniert. Genauso wie Erreger unser (physisches) Immunsystem aktivieren und widerstandsfähiger machen, stärken Stressauslöser über unsere Stressreaktion die psychische Gesundheit, und helfen uns Widerstandsfähigkeit aufbauen.
Allerdings kann uns zu viel Stress überlasten – genau wie bei unserem Immunsystem. Dann steigt das Risiko von Burn-out und anderen psychischen und physischen Erkrankungen. Man unterscheidet daher üblicherweise zwei Arten von Stress, Eustress und Distress – das bedeutet in etwa: positiver und negativer Stress. Der Unterschied liegt hierbei allerdings nur im Ausmaß der Stressbelastung, bzw. darin, ob es nach einer Stressbelastung ausreichend Möglichkeit zur Erholung gibt.
Ist Stress denn für alle gleich?
Nein, Stress ist individuell sehr verschieden. Zum einen können Stressauslöser (Stressoren) sehr unterschiedlich wirken – denken Sie z.B. daran, wie die Aufgabe einen Vortrag zu halten auf jemand wirkt, der sich im Mittelpunkt einer Party immer wohl fühlt, im Vergleich zu jemanden, der ungern unter Leute geht. Aber selbst wenn Stressoren als gleich intensiv wahrgenommen werden, können sich die Stressreaktionen von Personen darauf stark unterscheiden – der eine sprudelt z.B. wie ein Wasserfall, der andere bekommt vor Aufregung kein Wort heraus. Es spielt eine Rolle, welche Stressbewältigungsstrategien mir zur Verfügung stehen, wie regeneriert ich bin, und ganz wichtig auch: Wofür ich den Stress aushalte. Die ersten Monate mit einem neugeborenen Kind sind z.B. ein äußerst stressiges Erlebnis – aber als Eltern weiß man, warum man sich ohne Schlaf durch die Nächte kämpft. Wenn man ein vergleichbares Stresslevel im Beruf erleben würde, wäre ein Burn-out viel wahrscheinlicher.
Sie gelten als Experte für Purpose, also übergeordnete Sinnhaftigkeit. Lässt sich denn eine Art Sinn im Berufsleben vermitteln, um einem Burnout vorzubeugen?
In der Tat lassen sich durch „Purpose-Driven Leadership“ – also einen sinnzentrierten Führungsstil – deutlich die Motivation, Zusammenarbeit im Team und Belastungsfähigkeit erhöhen. Das geht allerdings nicht über Nacht und auch nur, wenn die Organisation das zulässt. Wenn Mitarbeiter in der Hochsaison schon kurz vor dem Burnout stehen, ist die Suche nach Purpose erst einmal kontraproduktiv. Nach unserer Erfahrung mit zentor braucht es dann erst einmal Hilfe bei der Stressbewältigung und beim Aufbau von Resilienz, bevor man sich mit Purpose beschäftigt. Der wirkt dann allerdings auch längerfristig. Nietzsche hat es hier besonders schön gesagt: „Hat man sein Warum des Lebens, so verträgt man sich fast mit jedem Wie“.
Lässt sich Stressbewältigung denn trainieren?
Klar, sehr gut sogar. Stressoren und die individuelle Stressreaktion können zwar sehr verschieden sein, aber sie laufen immer nach dem gleichen Muster ab. Auf einen Stressor folgt eine Aktivierung und dann eine meist unbewusst) Bewertung, die wiederum zu meist automatischen Reaktionen führt. Ein ganz wesentlicher Schritt beim Stresstraining ist es, die unbewussten und automatisch ablaufenden Denk- und Verhaltensmuster zu erkennen und kurz zu unterbrechen. Darüber hinaus gibt es natürlich noch eine Menge bewährter Techniken um Stress besser zu bewältigen.
Krankenkassen haben inzwischen auch erkannt, dass Stressprävention ein ganz wichtiger Ansatz ist, um die psychische Gesundheit ihrer Mitglieder zu fördern und Burnout vorzubeugen. Daher erstatten gesetzliche Krankenkassen Trainingsangebote von zertifizierten Anbietern – einige davon (u.a. zentor) bieten inzwischen auch Onlinekurse an, die bequem von zuhause durchgeführt werden können.
Ein ganz wichtig Faktor um bessere Stressbewältigung zu trainieren ist außerdem ausreichend Regeneration nach einer Stresssituation – was nach unserer Erfahrung leider immer zu kurz kommt, obwohl es ein ganz wesentlicher Bestandteil ist um langfristig Resilienz aufzubauen.
Gerade Führungskräfte, von denen Sie vorhin gesprochen haben, sehen sich doch aber oft nicht in der Lage die klassischen Präventionstipps wie Verringerung von Arbeitszeit oder -pensum oder mehr Schlaf zu befolgen. Welche Tipps haben Sie für Führungskräfte aus Ihrer Erfahrung als Coach?
Absolut richtig, was wir ganz oft von gestressten Managern hören ist „ich habe keine Zeit mich um meinen Stress zu kümmern“ – was ja eigentlich bedeutet „ich bin zu gestresst, um zu lernen wie ich mit Stress besser umgehen kann“. Dabei gibt es einige schnelle und gute Tricks, um die eigene Produktivität zu erhöhen (z.B. bessere Meetingdisziplin, Jour Fixe Meetings durch E-Mails ersetzen, die klassische Eisenhower Matrix, etc.) aber es gibt auch gute „Regenerations-Quickies“ die bei akuten Stresssituationen helfen. Mein Favorit, und eine der schnellsten Übungen ist die sogenannte Box-Atmung: 4 Sekunden einatmen – 4 Sekunden Luft halten – 4 Sekunden ausatmen – 4 Sekunden Pause. Das ganze 4-mal wiederholen und nach einer Minute kann die Welt schon wieder ganz anders aussehen.
Wie sieht eine neue Arbeitswelt aus, die Menschen weniger negativem Stress aussetzt?
Eine moderne Arbeitswelt sieht Menschen ganzheitlich und ermöglicht mit flexiblen Arbeitsmodellen eine Integration von privaten und wirtschaftlichen Interessen. Letztendlich geht es um die Erfüllung der jeweiligen Bedürfnisse und beide, sowohl der Mensch als Arbeitnehmer, als auch das Unternehmens tragen ihre Verantwortung dafür, eine sinnstiftende Existenz in einer nachhaltigen Gesellschaft zu ermöglichen.