Virtuelle klinische Studien – Wo wir Menschen uns gerne durch Computer ersetzen lassen

Bevor medizinische Produkte auf den Markt kommen, müssen diese eine Reihe von Tests durchlaufen. Es muss bewiesen werden, dass das Produkt funktioniert wie gewünscht und, dass es sicher ist es zu verwenden. Der letzte Schritt dieses jahrelangen Zulassungsprozesses sind klinische Studien im Menschen.


Für Patientinnen und Patienten kann die Teilnahme an klinischen Studien eine große Chance sein, um Zugang zu neuen Behandlungsmethoden zu erlangen, z.B. bei Erkrankungen für die noch kaum Behandlungsmethoden verfügbar oder die existierenden Behandlungsmethoden bereits ausgeschöpft sind.


Klinische Studien bergen aber auch immer ein Risiko, schließlich geht es hier um Implantate und Behandlungsmethoden, die erst dabei sind, zugelassen zu werden. Auf den Markt kommen diese erst, wenn sie in den Klinischen Studien bestehen und eine Zulassung erhalten.


Und wenn es darum geht ein Risiko auf sich zu nehmen, geben wir Menschen das doch zu gerne an Computer ab.
Bei virtuellen klinischen Studien geht es genau darum. Medizinische Hoch-Risiko-Produkte werden zunächst ausgiebig am Computer getestet, mit Simulation und virtuellen Implantationen. Erst ausgereifte Prozeduren und Produkte werden im Menschen getestet und implantiert.

In der Automobilbranche ist es bereits Standard sich auf virtuelle Versuche und Simulationen zu verlassen. In Zuge dessen stellt sich die Frage, wie weit wir hier in der Medizin sind. Können uns auch in der Medizin digitale Lösungen voranbringen?

Photo: © Virtonomy

Was sind Virtuelle Klinische Studien?

Ein Münchner Start-Up, Virtonomy – wie die Englischen Worte virtual anatomy – bietet 3D Anatomiemodelle basierend auf bildgebenden Daten wie CT-Daten von realen Patienten an. Dadurch wird es Herstellern von medizinischen Produkten ermöglicht, die Entwicklung und damit einhergehende Tests in einer virtuellen Umgebung sicher und ohne Risiko durchzuführen. Beispielsweise Implantationen werden virtuell an Desktop oder in Virtual Reality durchgeführt. Das Produkt wird mit Simulationen auf Sicherheit und Funktionalität getestet.

Die virtuellen Patienten repräsentieren spezifisch die Patienten-Zielgruppe für die das Medizinprodukt entwickelt wird. Sie basieren auf Daten von Patienten mit einer bestimmten Erkrankung und der damit einhergehenden pathologischen Anatomie. So wird die Entwicklung genau auf die Zielgruppe zugeschnitten und das Risiko auf „böse Überraschungen“ bei tatsächlichen Humanversuchen minimiert.

Inklusive Entwicklung

Zur lückenlosen Repräsentation einer Bevölkerungsgruppe zählt auch ein entsprechendes Verhältnis zwischen männlichen und weiblichen Probanden. In klinischen Studien ist dies jedoch nicht immer realisierbar. Frauen sind in Studien oft unterrepräsentiert – das führt zu Verzerrungen. Mit virtuellen Patienten kann die gesamte Variabilität der Patientenzielgruppe abgebildet werden. 


Auch für Kinder werden sehr gerne computer-gestützte Methoden zur Entwicklung genutzt, um die jungen Patienten keinem Risko auszusetzen.  
 

Tierversuche können bald der Vergangenheit angehören

Viele medizinische Produkte wie künstliche Herzklappen werden vor Zulassung nach wie vor in Tieren getestet – in beispielsweise Schafen, Kälbern oder Schweinen.  Auch bei Tierversuchen sind virtuelle Tier-Patienten anwendbar. So kann die passende Tierart und Gattung genau ausgewählt werden und besprochen werden, wie z.B. ein künstliches Herz implantiert werden kann – alles an virtuellen 3D-Anatomien basierend auf CT-Daten von Tieren. So können Tierversuche drastisch reduziert werden. Abgesehen von der ethischen Fragwürdigkeit von Tierversuchen ist auch ein Versuch in lebenden Tieren nur eine Annäherung an die Wirksamkeit im Menschen. Es wird von der ursprünglichen Entwicklung für den Menschen zunächst auf Tiere umgeschwenkt, um dann nach erfolgreichen Tests wieder zurückzugehen zum Menschen. Mit Simulationen können bereits viele Aspekte der Tierversuche abgedeckt werden. So liegt es nahe viele Tierversuche durch Tests an virtuellen Patienten zu ersetzen.
Langfristig ist jedoch das Ziel, Tierversuche komplett zu überspringen und direkt durch Simulationen an menschlichen virtuellen Patienten zu ersetzen.
 

Laut der amerikanische Zulassungsbehörde FDA können durch computer-gestützte Versuche die Entwicklungskosten von Medizinprodukten deutlich reduziert werden.

Photo: © Virtonomy

Von virtuellen Patienten zu echter Innovation

Die Medizin entwickelt sich immer weiter, wird immer fortgeschrittener. Immer mehr Erkrankungen können behandelt werden. Die Zulassungskriterien für neue Medizinprodukte sind jedoch sehr streng und werden immer strenger. Das ist einerseits richtig und wichtig, um die Risiken für Patienten zu minimieren, allerdings führt das auch dazu, dass die Zulassung und damit die Verfügbarkeit für ein Hoch-Risiko-Produkt mehr als 10 Jahre dauern kann. Auch hier kommen virtuelle Patienten ins Spiel: Es kann sehr früh an der richtigen Patienten-Zielgruppe mit der richtigen Erkrankung getestet werden, ohne dass jemand zu Schaden kommt. Damit können Risiken früh erkannt werden und in die richtige Richtung weiterentwickelt werden, sodass nicht in der letzten Stufe des Zulassungsprozesses ein Fehler auftaucht und z.B. das Design eines Implantats grundsätzlich neu überdacht werden muss. 

So wird die Entwicklung beschleunigt und Innovation vorangetrieben.
Durch den Einsatz von virtuellen Patienten werden auch die Kosten für die Entwicklung reduziert, was langfristig die Gesundheitsversorgung bezahlbarer macht. Kleinere Unternehmen werden gestärkt, sodass diese ihren Beitrag zur Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten leisten können. Damit wird die Landschaft der Hersteller von Medizinprodukten diversifiziert.
 

Fazit

Wenn es um das Testen von Risken in klinischen Studien geht, lassen wir Menschen uns doch gerne durch Computer ersetzen.

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