Die Gesundheitsversorgung wird zunehmend digitaler. Seit vielen Jahren drängen immer neue Technologien und Möglichkeiten in die Gesundheitsbranche. Die Corona-Pandemie hat diesen Entwicklungen nun einen neuen Schub gegeben. Fast 90 % der deutschen Internetnutzer informieren sich online über Krankheiten und ihre Behandlungsmöglichkeiten und suchen oft auch hier den Behandler aus. In diesem Interview sprechen wir mit Markus Reif, einem Gestalter der digitalen Transformation und Mitgründer der größten Arztempfehlungswebsite in Deutschland, jameda. Er selbst hat die Entwicklungen hier in einigen wichtigen Punkten mitgestaltet und kann uns interessante Einblicke geben.
Gründer und Geschäftsführer Reif & Kollegen GmbH, Co-Founder Jameda.de
Markus Reif ist seit vielen Jahren im Gesundheitswesen aktiv und hat es durch seine Arbeit mitgestaltet. Bereits seit 2004 beschäftigt er sich mit der Darstellung von Onlineauftritten und Online-Praxismarketing für Ärzte, Zahnärzte und Kliniken. 2007 war er Co-Founder von Deutschlands größter und bekanntester Arztempfehlungswebsite jameda.de und leitete diese viele Jahre als Geschäftsführer. Aktuell ist er als Geschäftsführer der Reif & Kollegen GmbH Agentur aktiv und betreut Ärzte, Zahnärzte und Kliniken persönlich und individuell beim Online-Marketing.
70 % der Deutschen suchen sich ihren Arzt oder ihre Klinik über das Internet bzw. über eine Vielzahl der angebotenen Arzt- und Gesundheitsportale aus und 30 % der deutschen Internetnutzer buchen ihre Arzttermine mittlerweile online. Was halten Sie von diesen Entwicklungen & was waren Ihrer Meinung nach die größten Erfolge der letzten Jahre im Bereich der digitalen Veränderung im Gesundheitswesen?
Ich denke, die letzten beiden Jahre haben generell die Digitalisierung enorm beschleunigt und im Gesundheitswesen waren diese Entwicklungen dringend erforderlich. Ich kann nicht für alle Prozesse bzw. Entwicklungen in diesem Segment sprechen, in unserem Bereich waren aber vor allem die Online-Termine der „Star“, der sich am schnellsten und besten entwickelt hat. Das gilt sowohl für die Anzahl der Praxen/Kliniken, die diesen Service anbieten als auch für die Akzeptanz.
Was verstehen Sie persönlich unter “Digitale Transformation” in Praxen und Kliniken? Welche Vorteile bietet sie dem “modernen” Patienten?
Die digitale Transformation ist für mich die dramatische Reduktion bzw. vollständige Eliminierung jeglichen Papierbedarfs zur Erfassung von Daten hin zu einer rein digitalen Gesundheitsakte. Patienten haben all ihre Daten auf „Knopfdruck“ zur Hand, die Wartezeiten in den Praxen bzw. Kliniken können drastisch reduziert werden, da alle Daten für den Check-In z.B. schon zu Hause erfasst werden. Auf diese Weise wird es Patienten auch möglich, Ihre Daten mit anderen Praxen zu teilen.
Das Corona-Virus hat die Digitalisierung in Praxen und Kliniken stark beschleunigt. Wie (gut) funktioniert die Umsetzung Ihrer Meinung nach in Praxen/ Kliniken & sind Widerstände (z.B. durch das Personal) zu beobachten?
In der Umsetzung gibt es sicher noch Luft nach oben. Das hat aber nicht nur mit den Praxen/Kliniken zu tun, sondern auch mit den Anbietern. Das Feld ist noch sehr jung, sodass die nächsten Jahre noch viel zu erwarten ist. Widerstände gibt es nicht nur beim Personal, sondern auch durch die Ärzte selbst. Einige müssen sich noch daran gewöhnen, dass die Terminhoheit nicht mehr nur in ihren Händen liegt. Der mündige Patient ist hier ein Stichwort.
Welche Faktoren & Maßnahmen könnten Ihrer Meinung nach die Online-Patientenreise noch zusätzlich erleichtern?
In vielen Fällen ist die Webseite das größte Hindernis. Viele Seiten können zwar mobil aufgerufen werden, die Darstellung sowie das Handling auf dem Handy lassen aber sehr zu wünschen übrig. Manche Seiten laden extrem lange bis Inhalte sichtbar werden. Nutzer haben immer weniger Geduld und brechen den Suchprozess ab bzw. klicken auf ein anderes Ergebnis, d.h. die Ladezeit einer Website ist ein wichtiger Faktor in der Online-Patientenreise. Durchschnittlich greifen mittlerweile mehr als 70% der Besucher mobil auf eine Arzt-/Klinik-Website zu. Tendenz weiter steigend, wenn auch nicht mehr so rasant. Des Weiteren muss man es dem potenziellen Patienten so einfach wie möglich machen, mit der Praxis in Kontakt zu treten, zum Beispiel durch gut sichtbare Call-to-Actions (Anrufen, Online-Termine vereinbaren, E-Mail senden), die auf der Seite implementiert werden.
Warum sucht die Patient:in fast nur noch ausschließlich über das Internet nach einem passenden Behandler:in? Was ist Ihrer Meinung nach der beste Nutzen für den Patienten?
Ein großer Nutzen liegt sicher darin, dass online sehr viele Informationen zur Verfügung stehen, u.a. Bewertungen. Patienten haben eine große Auswahl mit vielen Informationen z.T. strukturiert dargestellt. Das beschleunigt den Prozess enorm und kann analog so nicht dargestellt werden. Nahezu alle Informationen sind rund um die Uhr verfügbar.
Wie läuft die Online-Patientenreise Ihrer Erfahrung nach gewöhnlicherweise ab? Wann, wo und wie bewegt sich der Patient durch das Internet bei der Suche nach einem passenden Behandler:in?
In den meisten Fällen beginnt die Reise bei Google. Montag ist oftmals der suchstärkste Tag der Woche, in der Regel finden dann mehrere Suchen statt bzw. werden mehrere Ergebnisse in der Suchergebnisliste angeklickt. Haben Patienten ein Set an für sie möglichen und relevanten Ärzten bzw. Kliniken zusammengestellt, kommen Google- und/oder jameda-Bewertungen ins Spiel. Der ganze Prozess kann unterschiedlich lang dauern. Für manche Behandlungen in der Plastischen Chirurgie vergehen bis zu 4 Jahre, bis die Entscheidung für eine Praxis fällt. Bei akuten Angelegenheiten muss es schnell gehen und es kann durchaus sein, dass das erste Ergebnis hier entscheidend ist.
Welche Informationen muss eine gute Praxis-/Klinik-Website enthalten? Wonach sucht die Patient:in genau?
Kurz gesagt muss eine top Website einen guten Mix an relevanten Informationen aus Bild, Ton und Text enthalten. Eine der am meisten besuchten Seiten ist die „Wir über uns“ Seite. Patienten wollen wissen und sehen, wer sie behandelt bzw. begrüßt und ggfs., welche besondere Ausstattung es gibt. Bilder müssen Sympathien transportieren, das können Patienten einschätzen. Sie können aber nicht die fachliche Kompetenz beurteilen, deshalb suchen sie nach anderen Kriterien und da kommen Bilder ins Spiel. Die Positionierung spielt vor allem in wettbewerbsintensiven Bereichen eine große Rolle: Warum soll ein Patient zu uns und nicht zum Nachbarn um die Ecke gehen?
Was gehört neben einer professionellen Website sonst noch zu einer modernen, digitalen Praxis/ Klinik & ihrem Auftritt dazu? Welche Online-Marketingmaßnahmen können Sie empfehlen?
Das Wichtigste ist die Auffindbarkeit in Google vor allem im organischen Bereich, d.h. unterhalb der bezahlten Ergebnisse in Google. Die organischen Ergebnisse haben weiterhin den größten Anteil am Kuchen. Daneben spielen Google Ads und Google My Business eine große Rolle. Vor allem GMB ist hier eine Art low hanging fruit, da Arzt-/Kliniksuchen meist einen lokalen Charakter haben und das eigene GMB-Profil einer der Treiber in den lokalen Suchen ist. Je nachdem, welche Zielgruppen angesprochen werden, können Facebook, Instagram oder YouTube durchaus eine Rolle spielen, um neue Patienten zu gewinnen. In ästhetischen Bereichen (Plastische Chirurgie, Dermatologie, etc.) z.B. kann Instagram gut funktionieren. Und selbstverständlich spielen auch jameda und klinikradar eine Rolle. Beide Portale haben eine große Reichweite und sollten Bestandteil des Marketing-Mix von Praxen und Kliniken sein.
Eine wichtige Zielgruppe sind aber nicht nur Patienten, sondern mittlerweile auch Personal geworden. In vielen Praxen gibt es genug Patienten aber zu wenig Mitarbeiter. Da gilt es, kreative Wege zu gehen und hier kann durchaus auch TikTok ins Spiel kommen. Ich denke, in den nächsten Jahren wird hier die größte Not sein.
Über welche weiteren digitalen Kommunikationskanäle können Patient:innen heutzutage schnell & unkompliziert einen passenden Arzt finden?
Für Kliniken gibt es z.B. klinikradar, für Praxen (Ärzte, Zahnärzte) jameda. Beide Portale haben viele Daten und Fotos. Klinikradar bietet zudem noch sehr detaillierte Informationen hinsichtlich Fallzahlen und Qualitätsberichte. Jameda hat mehr als 2 Millionen Bewertungen von Patienten.
Beide Portale sind in vielen Fällen ein fester Bestandteil einer Online-Patientenreise.
Was glauben Sie, wie sich die digitale gesundheitliche Versorgung des Patienten in den nächsten Jahren noch verändern wird?
Jeder kann alle Daten zu seiner Gesundheit jederzeit abrufen, teilen, ergänzen oder verknüpfen. Anbieter von Gesundheitsleistungen werden mit Hilfe von KI immer schlauer, Therapien effizienter und Menschen werden länger leben. Die Videosprechstunde wird mehr und mehr genutzt werden und Arztbesuche vor Ort werden dadurch weniger.